Lebenswerk
als Theologe
Friedrich Christian Lesser fühlt sich zeitlebens in erster Linie seiner Berufung als Theologe verpflichtet. Seine knapp 180 Veröffentlichungen sind primär unter dem theologischen Aspekt zu sehen, auch wenn sie viele Bereiche abdecken. Seine naturwissenschaftlichen Arbeiten dienen als Gottesbeweis, nur Gott kann eine so vielfältige Natur geschaffen haben! Mehrere Pastorate ab 1716 und die Verwaltung des Nordhäuser Waisenhauses bestimmen seinen beruflichen Lebensweg. Schon seit der Kindheit bereitet er sich auf seine theologische Laufbahn vor, die während der Studienzeit in Halle durch seinen Lehrer August Hermann Francke (1663-1727) pietistisch beeinflusst wird, obwohl er selber kein Pietist ist. Trotz einer direkten Konfrontation mit orthodoxen Eiferern im sogenannten Nordhäuser Gesangbuchstreit sucht Friedrich Christian Lesser den geistigen Ausgleich und die Zusammenarbeit mit theologisch Andersdenkenden wie beispielsweise dem „Hamburger Kreis“ (zum Gesangbuchstreit siehe Band 1 der Schriftenreihe der Stiftung).
als Historiker
Das Interesse Friedrich Christian Lessers für historische Begebenheiten unterschiedlichster Art ist ungemein groß. Fast jede vierte Publikation behandelt ein historisches Thema. 1740 gibt er anonym die „Historischen Nachrichten von der Kayserl. und des Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Nordhausen“ heraus. Dies ist die erste gedruckte Chronik seiner Heimatstadt. Er befürchtet Repressalien und muss aufgrund politischer Ursachen etliche Dinge weglassen, aus diesem Grund nennt er seinen Namen nicht. Erst acht Jahre später offenbart er sich als Autor, in einem Brief gegenüber einem vertrauten Korrespondenten. Die Nordhäuser Chronik ist das Hauptwerk seiner publizistischen Aktivitäten bezüglich seiner Heimatstadt.
Physicotheologe
Zu den interessantesten geistigen Erscheinungen des 18. Jahrhunderts gehört unzweifelhaft die physicotheologische Bewegung mit ihren vielseitigen literarischen Produkten. Die Betrachtung und Erforschung der Natur als Mittel der Gotteserkenntnis und des Gottesbeweises, die Legitimation der empirischen Naturforschung als wahren Gottesdienst ist ein so faszinierender Gedanke, dass er die Naturwissenschaft bis tief ins 18. Jahrhundert beherrscht. Friedrich Christian Lesser versteht gekonnt seine physicotheologischen Ambitionen mit der theologischen Alltagsarbeit zu verknüpfen. So nutzt er die neuesten ihm zugänglichen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und verbindet diese mit den passenden Bibelstellen. Lesser wird damit zu einem wichtigen Vertreter der Physicotheologie, der die immer komplizierter werdenden, neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse dem einfachen Menschen theologisch verständlich nahe bringt.
als Biologe
Friedrich Christian Lesser sieht als Pastor die Biologie wie auch alle anderen Wissenschaften aus physicotheologischer Sicht. Sie ist das Mittel zum Zweck und wird ausschließlich in den Dienst der Theologie gestellt. Seine bevorzugtes Interesse auf dem Gebiet der Biologie gilt den Insekten und den Weichtieren. In ihnen sieht er Paradebeispiele für die Phantasie des Schöpfers. Eine Vorreiterrolle nehmen die 1738 erscheinende „Insecto-Theologia, Betrachtung der Insecten“ und 1744 die „Testaceo-Theologia, Betrachtung der Schnecken und Muscheln“ ein. Die Insectotheologie wurde auch ins Französische, Italienische und nach seinem Tod auch ins Englische übersetzt.
als Geologe
Friedrich Christian Lesser lebt in einer Epoche, in der man u.a. in den Erscheinungsformen der Steine den Beweis für die Allmacht und Größe des Schöpfers sucht. In diesem Sinne sieht er die Geologie als theologisches Hilfsmittel. Er pflegt unzählige Kontakte zu Forscherkollegen und ist ständig bemüht, durch Tauschgeschäfte sein Conchylien-Kabinett (Fossiliensammlung) durch neue Stücke zu erweitern. 1735 publiziert er die „Anmerckungen von der Baumannshöhle“ und gibt das wichtige Werk der „Lithotheologie“ (Geologie) heraus. Er fertigt nicht nur die Zeichnungen der Versteinerungen selbst an, sondern stellt darin akribisch alle morphologischen Besonderheiten vor. Dabei gelingt ihm ungewollt die Erstbeschreibung der „ceratitischen Lobenlinie“.
als Genealoge
Friedrich Christian erforscht die Wurzeln seiner Familie, und anlässlich der Heirat seines Bruders Johann Gottlieb Lesser (1699-1770), Arzt des Klosters Preetz in Holstein, gibt er hierzu eine 12-seitige Schrift heraus: Genealogische Nachricht vom dem gesegneten Leßerischen Geschlechte, welche bey der glücklichen Leßerischen- und Liesegangischen Eheverbindung, so den 11. Novemb. 1729 zu Preetz in Hollstein vergnügt vollzogen wurde. Zu Bezeugung seiner Brüderlichen Liebe aus der Kayserl.Fr.Reichsstadt Nordhausen … Diese Schrift führt alle damals bekannten Nachfahren des seit 1596 verheirateten Ehepaares Johannes Lesser und Anna Hahn auf. 1755 erfolgt eine erweiterte Neuausgabe durch Wolf Lesser (1730-1814), den ältesten Sohn von Johann Gottlieb, und Pfarrer in Süderstapel im Herzogtum Schleswig. Die weiteren Nachfahren der Familie Lesser finden sich in verschiedenen Stammbäumen (weiter unten), während die Vorfahren 1992 in Band 2 der Schriftenreihe von Andreas Lesser veröffentlicht wurden. Bislang ist es nicht gelungen, über Johannes Lesser hinaus dessen Vorfahren zu ermitteln, auch wenn weitere Namensträger Lesser im Geburtsort von Johannes, nämlich in Wiesenthal in der Vorderrhön, ermittelt werden konnten. Von Lesser sind zahlreiche Lebensbeschreibungen bedeutender Personen bekannt.
Autor & Sammler
Mehr als 170 größere und kleinere Schriften verfasst Friedrich Christian Lesser im Zeitraum von 39 Jahren. Seine Sammelleidenschaft und die Breite seiner Interessengebiete veranlassen ihn, auf den Gebieten der Physicotheologie, den Bio-, Natur- und Geowissenschaften Forschungen zu betreiben und dann zu veröffentlichen. Er war Numismatiker, Biograf, Poet und wurde insbesondere für seine Heimatstadt Nordhausen zu einem bedeutenden Historiker. Sein literarisches Schaffen beginnt Friedrich Christian Lesser wahrscheinlich mit einer zehnzeiligen Widmung in dem 1715 erschienenen Buch „Nordhusa illustris“ während seiner Studienzeit in Halle. Der Großteil seiner Veröffentlichungen entsteht jedoch erst zwischen 1735 und 1754. Die inhaltliche Vielfalt der Lesserschen Schriften verweist auf ein beachtliches polyhistorisches Lebenswerk. Dabei wird deutlich, dass Friedrich Christian Lessers physicotheologische Werke untrennbarer Teil seines gesamten Publikationsspektrums sind. Das weitgesteckte Themenspektrum seiner Veröffentlichungen ist nur mit seiner Sammelleidenschaft erklärbar. Neben diversen natürlichen und mystischen Objekten für sein Naturalien- und Kunstkabinett sammelt er alles historisch und musisch Verwertbare, wie Bücher, seltene Drucke, Bibeln, Leichenpredigten, Urkunden, Gedichte, Briefe von Persönlichkeiten, Kupferstiche und Holzschnitte, Landkarten, Baupläne, Wappen, Siegel, Druckerzeichen, Münzen, Medaillen und Brakteaten. Im gleichen Maße, wie er sammelt, versucht er seine damit gewonnenen Erkenntnisse zu dokumentieren.
Numismatiker
Friedrich Christian Lesser beginnt Mitte der 30er Jahre des 18. Jh. sein literarisches Schaffen auf dem Gebiet der Münzkunde. Zwei entscheidende Aspekte sind ihm dabei dienlich: Der eine Aspekt besteht in seiner umfassenden Sammeltätigkeit. So sind auch Münzen und Medaillen Bestandteil seines „Naturalien= und Kunst=Cabinets’“, das er 1748 eindrucksvoll im „Hamburgischen Magazin“ vorstellt. Der zweite Aspekt, der die Entstehung seiner numismatischen Schriften begünstigt, ist seine Bekanntschaft mit führenden Numismatikern seiner Zeit und der mit ihnen gepflegte, rege Schriftwechsel. Die meisten dieser Personen scheint Friedrich Christian während seines Studiums in Halle bzw. durch seine Verbundenheit mit der „Academia Fridericiana Halensis“ kennen und schätzen gelernt zu haben. Er korrespondiert u.a. mit dem Halleschen Universitätskanzler Johann Peter von Ludewig und dem fürstlich-sächsischen Münzeisenschneider und Hofmedailleur Christian Wermuth, sowie Johann Christoph Orlearius. 1734 veröffentlicht Friedrich Christian Lesser mit seinem Beitrag „Historische Nachricht von Nordhäusischen Bracteaten oder Blechmünzen“ seine ersten Forschungsergebnisse. Diese Veröffentlichung ist der Auftakt zu einer ganzen Reihe. 1737 widmet er eine Arbeit den schwarzburgischen Münzen, in den Jahren 1739 und 1746 publiziert Lesser weitere Bücher zur Numismatik.
Biograph
Leichenpredigten waren die Hauptquellen für seine zahlreichen Lebensbeschreibungen. Friedrich Christian Lesser bezieht sich neben Biographien von Gelehrten vor allem auf Personen, die sich um seine Vaterstadt Nordhausen verdient gemacht hatten. Er schrieb z. B. über Johannes Thal [1747], Peter Boetticher [1747], Christoph Sieckel [1748], Laurentius Süsse [1749], Theodor Fabricius [1750], Ernestus Ernst [1752] sowie Apollo Wiegand [1752]. Die Lebensbeschreibung Thals ist gemessen an dessen überregionalen Bedeutung zu den übrigen biografierten Personen die wichtigste und zugleich die erste Würdigung des überaus begabten Arztes und Botanikers überhaupt. Eine weitere Gelegenheit ergibt sich mit der Beziehung zum Adel. FCL richtet nicht nur bevorzugt seine Widmungen an thüringer Adlige, sondern beschreibt auch ihr Leben. Im „Göttinger Nachruf“ 1754 ist diese Seite Lessers so treffend formuliert worden, dass sie von Jöcher/Rotermund 1810 fast wörtlich übernommen wird: „In Erforschung der Geschichte der fürstlichen, gräflichen und adelichen Häuser in Thüringen war er unermüdet … Diese hat ihm mehr Zutritt und Achtung bey den höchsten Gönnern erworben, als leicht keiner seines Standes genossen haben mag.“. Dieses Vorgehen eröffnet Friedrich Christian Lesser völlig neue Möglichkeiten im Hinblick auf seinen Forscher- und Sammlerdrang. Als ein Beleg dafür sei der Nordhäuser Stadtarchivar Hermann Heineck [1892] zitiert: „1752 berief ihn Fürst Johann Friedrich von Sondershausen nach seiner Residenz, zog ihn 3 Tage lang an seine fürstliche Tafel und zeigte ihm unter anderem auch die physicalischen Erfahrungen, sowohl mit dem Sonnen=Vergrößerungs=Glase, als auch mit dem geheimen Gespräch, das andere anwesende nicht hören, in dem oberen Gewölbe des fürstlichen Gartenhauses.“
als Poet
Friedrich Christian Lesser weist bereits im Lebenslauf auf sein Faible für die deutsche und lateinische Dichtkunst hin. Ganz im Stile der Zeit äußert sich bei ihm die Neigung, gewisse Stimmungen in poetischer Form zum Ausdruck zu bringen. Neben einfachen, in den Text eingearbeiteten physicotheologischen Zweizeilern sind es kleinere Gedichte bis umfangreiche Oden, die er zu unterschiedlichen Anlässen verfasst. Die dabei von Friedrich Christian Lesser gewählte lyrische Ausdrucksweise entspricht dem damaligen Zeitgeschmack, auch wenn sie für uns als zu schwülstig, „barock“ eben, erscheinen mag. Eine zehnzeilige Widmung noch als Theologiestudent ist wohl seine erste Veröffentlichung überhaupt. Sie findet sich 1715 in Kindervaters „Nordhusa illustris“. Seine künstlerischen Veröffentlichungen beschließt Friedrich Christian Lesser im Jahr 1753 mit einer 18 Strophen zählenden Ode an Christoph Mylius. Dieser unternimmt im Auftrag der Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen eine Forschungsreise nach Surinam.
„[1] Du Gehst, du eilst mein Freund! Von hinnen, Und = Ey! Wie kühn ist dein Beginnen? Ist denn Dein Vorsatz wohl erlaubt? Vertraust Du Dich den falschen Wellen. Die manch beseegelt Haus zerschellen, Und manchem Glück und Leib beraubt, Kanst Du die stets zu Freunden haben? Die viele in ihr Naß vergraben. [18] Beglückt mit Reichthum, Ruhm und Ehren, Laß Dich der HERR zurücke kehren, Dieß sey Dein Lohn in dieser Zeit. Die Schätze, die der Himmel giebet Dem, der wahrer Brunst GOTT liebet, Die schencke Dir die Ewigkeit, Die schencke Dir die Ewigkeit, Wenn Du wirst in den Himmel fahren.“